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  Krankheitserfinder
 

 

Auszug aus dem Buch

 

"Die Krankheitserfinder / Wie wir zu Patienten gemacht werden."

 
von Jörg Blech
ein Bild

Die Medizin ist so weit fortgeschritten,
daß niemand mehr gesund ist.

Aldous Huxley

Anfang des 20. Jahrhunderts begann ein Arzt namens Knock damit, den Menschen die Gesundheit auszutreiben. Der Franzose schuf eine Welt, die nur noch Patienten kannte: »Jeder gesunde Mensch ist ein Kranker, der es noch nicht weiß.«

Knock trat seinen Dienst in einem Bergdorf namens Saint Maurice an. Die Einwohner waren wohlauf und gingen nicht zum Arzt. Der alte Landarzt, der verarmte Parpalaid, versuchte seinen Nachfolger zu trösten und sagte: »Sie haben hier die beste Art von Kundschaft überhaupt: Man lässt Sie in Ruhe.« Knock war nicht gewillt, sich damit abzufinden.

Doch wie nur sollte der Neuling die vitalen Menschen in seine Praxis locken? Was nur sollte er den Gesunden verschreiben? Listig schmeichelt Knock dem Dorflehrer und bringt ihn dazu, den Einwohnern Vorträge über die angeblichen Gefahren von Kleinstlebewesen zu halten. Er engagiert den Dorftrommler und lässt ihn ausrufen, der neue Doktor lade alle Bewohner zu einer kostenlosen Konsultation - um die »unheimliche Ausbreitung von Krankheiten aller Art einzudämmen, die seit einigen Jahren in unserer einstmals so gesunden Region um sich greifen«. Das Wartezimmer füllt sich.

In den Sprechstunden diagnostiziert Knock sonderliche Symptome und bläut den unbedarften Dörflern ein, dass sie seiner ständigen Betreuung bedürfen. Viele hüten fortan das Bett und nehmen allenfalls noch Wasser zu sich. Am Ende gleicht das Dorf einem einzigen Hospital. Es bleiben noch so viele Menschen gesund, wie nötig sind, die Kranken zu pflegen. Der Apotheker wird ein reicher Mann; ebenso der Wirt, dessen Gasthof als Notlazarett allzeit ausgelastet ist.

Knock blickt abends begeistert auf ein Lichtermeer ringsum: Es sind 250 hell erleuchtete Krankenstuben, in denen - wie vom Doktor verordnet - 250 Fieberthermometer in die dafür vorgesehenen Körperhöhlen geschoben werden, sobald es zehn schlägt. »Fast das ganze Licht gehört mir«, schwärmt Knock. »Jene, die nicht krank sind, schlafen in der Dunkelheit; sie sind nicht wichtig.«

Der Dreiakter »Knock oder der Triumph der Medizin« feierte 1923 in Paris eine rauschende Premiere. In den folgenden vier Jahren wurde das Stück des französischen Schriftstellers Jules Romains 1300 Mal aufgeführt, später mehrfach verfilmt, und es wird bis heute an Schulen gezeigt. Das Theater des Doktor Knock ist nicht totzukriegen - seine bühnenreife Medizin wird im echten Leben fortgeschrieben. Diese Geschichte soll an dieser Stelle erzählt werden: Sie handelt davon, wie gesunde Menschen in Patienten verwandelt werden.

Heute ist es kein verführerischer Dorfarzt, der das Licht in den Krankenzimmern aufscheinen lässt. Eine ungleich größere Macht ist angetreten, den Menschen die Gesundheit auszutreiben: die moderne Medizin. Ärzteverbände und Pharmafirmen, häufig von Patientengruppen unterstützt, predigen uns eingangs des neuen Jahrhunderts eine Heilkunst, die keine gesunden Menschen mehr kennt.


Um das enorme Wachstum der früheren Jahre beibehalten zu können, muss die Gesundheitsindustrie immer häufiger Menschen medizinisch traktieren, die gesund sind. Global operierende Pharmakonzerne und international vernetzte.

 
 
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