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Seither hat das Schlagwort die Medien erobert und wird von einigen Psychiatern propagiert: In Deutschland seien drei Millionen Menschen am Sisi-Syndrom erkrankt.

Mediziner des Uniklinikums Münster entlarvten das Volksleiden im Mai 2003 als Erfindung der Industrie. Ihre Auswertung der Fachliteratur hat offenbart, dass das Krankheitsbild wissenschaftlich nicht begründet werden kann. Die Medienpräsenz des Sisi-Syndroms, darunter ein lanciertes Sachbuch zum Thema, gehe vielmehr zurück auf Wedopress, eine PR-Firma in Oberursel, die von Glaxo-SmithKline dazu beaufragt war. Wedopress selbst rühmt sich, dass sie für »Einführung einer >neuen< Depression« in den Medien »ein >Trommelfeuer< für das Sisi-Syndrom« ausgelöst hat.

»Es ist schlau und auch ein bisschen gemein, Leute davon zu überzeugen, dass sie etwas haben, von dem sie bisher gar nicht wussten, dass es existiert«, kommentiert Jacques Leibowitch, Arzt im Krankenhaus Raymond Poincare nahe Paris.

Weidlich nutzen die Krankheitserfinder es aus, dass ihnen faktisch das Informationsmonopol in Sachen Gesundheitserziehung zugefallen ist. Ein Mitarbeiter der Düsseldorfer PR-Agentur OgilvyHealthcare schätzt, dass »70 bis 80 Prozent« aller Artikel und Beiträge zu Medizinthemen in den Medien auf gezielte Öffentlichkeitsarbeit zurückgehen. Manchmal spannen die Meinungsmacher Zeitungen und Fernsehsender offiziell als »Medienpartner« für ihre Feldzüge ein. Meist aber operieren sie verdeckt. Kapitel zwei schildert, wie von langer Hand geplante »Disease Awareness«-Kampagnen Krankheitsbilder in unseren Alltag einsickern lassen - und damit Ängste vor diesen Leiden.

Die »in Deutschland lebenden Menschen sind alle von einem Vitaminmangel betroffen«, verkündet die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik in Aachen. Im Ruhrgebiet sind »zwei Drittel der über 45-jährigen infarktgefährdet«, berichtet die Ärzte Zeitung. Mehr als drei Millionen Bundesbürger leiden am chronischen Erschöpfungssyndrom (Chronic-Fatigue- Syndrome) und Weichteilrheumatismus, behauptet die in Düsseldorf erscheinende Medical Press - und fügt verschämt hinzu: »Ohne Gewähr.«

Jeder fünfte Familienvater, sonst immer zuverlässig und geduldig mit den Kindern, erkranke am soeben entdeckten »Käfig-Tiger- Syndrom«, beteuern der Münsteraner Professor für Allgemeinmedizin Klaus Wähle und die PR-Firma Medical Consulting Group. Aufgrund bislang unerkannter, spezifischer Verstimmungen könnten die Papas »sich nicht mehr gut entscheiden, hadern ununterbrochen mit allem und jedem. Wie ein eingesperrter Tiger im Käfig.« In solchen Fällen könnten Psychopharmaka »für einen wieder ausgeglichenen Haushalt der Botenstoffe« im väterlichen Gehirn sorgen.

51 Prozent im Volke leiden unter »Refluxsymptomen mit Beeinträchtigung der Lebensqualität«, verkündet eine Allgemeinärztin aus dem bayerischen Rödental - sie meint Sodbrennen. Genau 822 595 Menschen mit Hyperhidrose will die private Kölner Klinik am Ring in Deutschland gezählt haben: Die Betroffenen schwitzen - angeblich so stark, dass sie medizinischer Hilfe bedürfen.

Die Zahl der Glupschaugen und Hakennasen, Segelohren und Reithosen im Lande hat niemand gezählt, jedoch gibt der Tübinger Arzt Norbert Schwenzer sich überzeugt: »Ein unvorteilhaftes Äußeres besitzt an sich einen Krankheitswert.« Plastische Chirurgen nehmen in Deutschland jedes Jahr schätzungsweise 300 000 bis 500 000 kosmetische Operationen vor - und schneiden dabei ein jedes Mal in gesundes Fleisch.

Unsere Rentner auf Mallorca sind reif für den Inseldoktor: Trotz - oder vielleicht gerade wegen - schönster äußerer Umstände macht ihnen die »Paradies-Depression« zu schaffen.

 

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